Ein paar Gedanken zum Thema Sangha von Anne Wanitschek

Was bedeutet der Begriff Sangha eigentlich? Warum hat Rinpoche immer “What Sangha” gefragt, wenn er den Begriff gehört hat? Sind wir überhaupt eine Sangha? Meistens wird der Begriff Sangha benutzt, um allgemein eine buddhistische Gemeinschaft zu beschreiben und sicher hat sich dieser Begriff wie auch die Lehre im Laufe der Zeit geändert. Der tibetische Begriff für Sangha ist gedun, was soviel wie “Streben/Sehnen nach Verdienst/Positivität” bedeutet. Traditionell wird die Sangha unterschieden in die
– Noble Sangha und die
– konventionelle Sangha

Zur Noblen Sangha nehmen wir Zuflucht. Sie ist Bestandteil der Drei Juwelen – Buddha, Dharma und Sangha. Zu ihr zählt man, wenn man eine der vier Stufen der transzendenten spirituellen Errungenschaften realisiert hat. Diese vier Stufen sind:
1. Sotapanna, Strom-Einsteiger
haben eine Sphäre jenseits des Weltlichen erreicht, von der man nicht mehr zurückfällt und da man die ersten drei Verunreinigungen, nämlich: falsche Sicht der Individualität, Zweifel in die drei Juwelen und blinde Anhaftung an Riten und Rituale, völlig beseitigt hat, bricht man niemals die fünf Regeln;
2. Sakadagami, Einmal-Zurückkehrer
Erreicht man diese Stufe, wird man nur noch ein mal wiedergeboren, bevor man Buddhaschaft erreicht, und hat die drei Wurzeln der Verunreinigungen – namentlich Gier, Wut und Täuschung – ausgelöscht;
3. Anagam, Nicht-Zurückkehrer
Auf dieser Stufe werden Begierde und Abneigung völlig aufgehoben und nach dem Tod wird man in einem reinen Land wiedergeboren, wo man dann Befreiung erlangt;
4. Arahanta, Erhabene
Dies ist die höchste Stufe spiritueller Errungenschaften. Erreicht man diese, hat man alle Verunreinigungen vollständig beseitigt. Man ist frei von Karma und eins mit dem Buddha.
Die Mitglieder der Noblen Sangha zeigen uns, dass es möglich ist, Buddhaschaft zu erreichen. Sie helfen Zweifel und Unsicherheiten zu besiegen, fördern und inspirieren uns und beschützen uns vor Abwegen. Ohne sie gäbe es den Dharma nicht mehr. Sie sind die Träger der Lehre. Zu ihnen nehmen wir Zuflucht.
Zur konventionellen Sangha wird entsprechend der Lehre die Gemeinschaft von Mönchen gezählt. Dazu gehört eine Gruppe von mindestens vier oder mehr Mönchen, die bestimmte Gelübde halten. Das ist die Sangha entsprechend der Vinaya-Definition, die nicht unbedingt zu den drei Juwelen gezählt wird.
Die erste Sangha bildete sich, als Lord Buddha zwei Monate nach seiner Erleuchtung zum ersten Mal lehrte. Damals sprach er zu seinen fünf ehemaligen Gefährten, worauf einer von ihnen, Kondanna, die erste von vier Stufen der transzendenten spirituellen Errungenschaften realisierte und somit das erste Mitglied der Noblen Sangha wurde. Als die fünf dann ordiniert wurden, bildete sich die erste konventionelle Sangha. Buddhas erste Lehrrede in Sarnath markiert also den Beginn der Noblen und der konventionellen Sangha.
Das heißt natürlich nicht, dass man nur in die Noble Sangha eintreten kann, wenn man vorher in der konventionellen Sangha gewesen ist. Jeder, der seinen Geist entwickelt und Resultate erlangt, kann in die Noble Sangha aufgenommen werden. Der Buddha selbst bestätigte, dass die Anzahl Nobler Laien-Schüler größer sei, als die der Mönche.
Betrachtet man nun diese beiden, recht eindeutigen Definitionen – können wir uns demnach als Sangha bezeichnen? Eher nicht. Aber schauen wir mal weiter:
zu einem späteren Zeitpunkt entwickelte sich die Vajrayana-Sangha. In sie tritt man ein, indem man durch den Vajra-Meister in das Mandala eingeweiht und in die reine Natur der Erscheinungen und des eigenen Geistes eingeführt wird sowie die Verpflichtungen und Ziele des Vajra-Meisters annimmt. Grundlage für die Vajrayana-Sangha sind die Zuflucht und die Bodhisattva-Gelübde. Viele von uns haben bei Rinpoche persönlich Zuflucht genommen, aber die Bodhisattva-Gelübde hat er, soweit mir bekannt, in der Öffentlichkeit niemals gegeben. Warum? Wer und Was sind wir denn nun? Ich denke, es ist durchaus kein Problem, den Begriff Sangha als “Arbeits-Titel” beizubehalten. Aber es geht wohl darum, ein Bewusstsein dafür zu entwickeln, was Sangha eigentlich bedeutet. Dass es nicht einfach nur ein Buddha-Fan-Club oder so etwas ist, sondern ein Verbund von Menschen, die sich tatsächlich verpflichtet haben und dass man als Mitglied einer Sangha auch Verantwortung trägt. Und es bedeutet auch, dass es eine lebendige Verbindung zum Lehrer und seinen Lehren gibt. Dabei geht es nicht darum, wann, wie oft oder ob man überhaupt den Lehrer getroffen hat, sondern wie sehr man sich jetzt mit ihm und seinen Lehren verbunden fühlt. Ich glaube, dass es kein äußeres Ritual ist, welches uns in die Sangha aufnimmt (so wie eine Eintrittskarte, die man einmal kauft und die ein Leben lang gültig ist) sondern eine innere aktive Beteiligung.
Es heißt: “Diejenigen, die die Lehren des Buddha annehmen, sind Kinder von Buddhas Rede, und diejenigen, die ein Erkennen der wahren Natur des Geistes erreichen, sind Kinder von Buddhas Geist.” Wir sind also aufgenommen in eine große Familie, eine noble Familie und unsere Verbindung ist die von Geschwistern, Vajrageschwistern. Wir alle, die wir Schüler von Rinpoche sind, sind auf diese unglaubliche Weise ganz eng miteinander verbunden. Wir haben uns in diesem Leben getroffen und auch in den folgenden werden wir immer wieder in dieser Art zusammen kommen, bis die Erleuchtung erlangt ist. Diese Verbindung wird uns auf dem Pfad enorm unterstützen. Sind wir beieinander, kommen viele Emotionen auf und wir können lernen, mit ihnen umzugehen. Da wir zur selben Familie gehören, halten wir nicht lange an ihnen fest, sondern nutzen sie, um unsere Verunreinigungen aufzuspüren und aufzulösen und den Anderen zu unterstützen. Ständig spiegeln wir uns und erhalten so die Möglichkeit, unsere eigenen Prozesse zu reflektieren. Denn “wenn wir Zuflucht nehmen, ohne die Ideale der Sangha wirklich anzunehmen, sind wir wie jemand, der etwas Vergammeltes unterm Teppich versteckt und dann überall rumschnüffelt und andeutet, dass der Gestank jemanden anderes Problem ist.” Doch wenn wir uns der guten Qualitäten unserer Wegbegleiter stets bewusst sind und ihnen nacheifern, wird unsere Praxis um einiges reicher. Praktiziert man gemeinsam, multipliziert sich der Verdienst der Praxis entsprechend der Teilnehmerzahl (bei mir multiplizieren sich leider auch die Turbulenzen im Geist…), daher unterstützen uns unsere, jetzt sag ich’s mal, Sanghamitglieder in unserer Praxis enorm. Wir sollten sie niemals nur als normale Freunde betrachten, sondern jeden mit besonderem Respekt und Achtung behandeln, da sie ein Mittel sind, welches uns auf dem Weg aus unserer Unwissenheit herausführt.
Wo bringen uns diese Gedanken nun hin? Ich denke, es geht darum herauszufinden, wo wir stehen und welches Potential wir haben. Wir haben die Übertragungen und den Segen einer ganz besonderen Linie erhalten. Rinpoche hat uns als seine Schüler angenommen und er hat uns nicht hilflos zurückgelassen, sondern uns mit allem, was benötigt wird, ausgestattet. Er hat uns die Werkzeuge in die Hände gelegt; die Älteren und Erfahreneren unter uns hat er gebeten, uns geduldig immer wieder zu erklären, wie sie zu gebrauchen sind, und einen Raum zu schaffen, in dem wir üben können, sie zu benutzen. Das Kloster in Indien und das Zentrum in Polen sind Orte, die Rinpoche für unsere Praxis und Reifung gesegnet hat, Manifestationen seines Geistes. Hier sollen seine Lehren bewahrt werden und wir sind diejenigen, die diese Lehren in uns lebendig halten. Ein jeder von uns trägt das Licht von Rinpoche in sich. Je weniger wir uns diesem Licht in den Weg stellen, desto mehr werden wir eine wirkliche Sangha. Und das zeigt sich letztlich auch darin, wie wir miteinander und anderen umgehen.
Anne Wanitschek