5. Tulku Thondup Rinpoche zum Thema: Nyingma Schule

In Tibet gibt es viele verschiedene buddhistische Schulen oder Übertragungslinien der Belehrungen und Interpretationen, doch es gibt vier Haupttraditionen, im Tibetischen als Cho lug bekannt.

Vom siebten Jahrhundert, als der Buddhismus zum ersten Mal Tibet erreichte, während der Regierungszeit von König Srong tsen Gam po (617-698), und dann im neunten Jahrhundert, als der Buddhismus sich zur vollen Blüte entfaltete, unter der Regierung von König Thri srong Deu tsen (790-858), bis zum elften Jahrhundert, als die anderen Schulen entstanden, gab es nur eine buddhistische Tradition in Tibet. Die Tradition wurde später als Nyingma >Die Alte< bezeichnet, um sie von den anderen Schulen zu unterscheiden. Im und nach dem elften Jahrhundert brachten tibetische buddhistische Meister und indische Gelehrte viele neue buddhistische Belehrungen, besonders des esoterischen und tantrischen Buddhismus nach Tibet. Im Laufe der Jahre etablierten sie neue Praxislinien und philosophische Interpretationen, und jene Übertragungslinien verfestigten sich nach und nach in verschiedenen Schulen.

Die anderen Schulen sind Kagyud, gegründet vom großen Übersetzer Marpa (1012-1099), Sakya, gegründet vom verehrten Weisen Khon Kon chog Gyal po (1034-1102) und Gelug, die vom gefeierten Gelehrten Je Tsong kha pa (1357-1419) gegründet wurde. Was Schriften und Praxislinien anbetrifft, ist die Nyingmaschule der Hauptkörper oder Stamm des Buddhismus in Tibet und die anderen Schulen sind die Zweige. Trotzdem florierten zu verschiedenen Zeiten die anderen Schulen mehr als die Nyingma. Viele buddhistische Schriften wurden in den frühen Zeiten des Buddhismus, während der Nyingmaperiode verbreitet und sind bis heute von größter Wichtigkeit.

Gemäß buddhistischer Gelehrter kann der Buddhismus in zwei Kategorien unterteilt werden: in die Sutras, die exoterischen Belehrungen und die Tantras, die esoterischen Belehrungen. Die Sutras haben zwei Aspekte: die sutrischen Schriften des Hinayana, oder die gewöhnlichen Belehrungen und die sutrischen Schriften des Mahayana, die ungewöhnlichen Belehrungen. Die ursprünglichen sutrischen Schriften von sowohl Hinayana und Mahayana, sind die Belehrungen des Buddhas Shakyamuni. Trotz verschiedener Interpretationen und Schwerpunkte haben die vier tibetischen Schulen gemeinsame Schriften, die sie studieren und praktizieren.

Die sutrischen Schriften des Hinayana, welche die grundlegenden Belehrungen des Buddhismus sind, unterteilen sich in drei Kategorien, die als Tripitaka, die Drei Körbe, bekannt sind. Wie bereits erwähnt, sind das die Vinayaschriften über monastische Disziplin; die Sutras, die Abhandlungen des Buddhas über verschiedene Themen; und Abhidharmaschriften, die Abhandlungen über Metaphysik. Die meisten der Vinayaschriften und viele Sutras wurden während des Entstehens der Nyingma ins Tibetische übersetzt. Die Vinayalinie des vollständig ordinierten Mönches der meisten anderen tibetischen Schulen stammt ebenso von der Nyingmalinie. Sie wurde von Shantaraksita nach Tibet gebracht. Die vollständigen Abhidharmaschriften haben Tibet nie erreicht. Die Texte, die von Asariga und Vasubandhu geschrieben wurden, sind die Hauptquellen für alle Schulen. Die Hinayanaschriften beinhalten die grundlegenden Belehrungen über das Training: sie betonen physisches Training, wie das strikte Einhalten der monastischen Disziplin, das Leben in Einsamkeit, Armut oder einfaches Leben und die Praxis der Stille (Shamatha) und der Einsichtsweisheit (Vipashyana).

Tibetische Schriften sind die reichhaltigste Quelle für sutrische Schriften des Mahayana und die meisten kamen nach Tibet während der Zeit der Entwicklung der Nyingma-Belehrungen. Drei davon sind Prajnaparamita, Ratnakuta und Avatamsaka, die Belehrungen über die Erzeugung von Bodhicitta, den Erleuchtungsgeist und die sechs Perfektionen.

Der tibetische Buddhismus ist die einzige lebende Tradition, in der wir alle Stufen der tantrischen Schriften und Praxismethoden finden. Die tantrischen Schriften, die während der Verbreitung der Nyingma nach Tibet kamen, werden als die Alten Tantras bezeichnet und diejenigen, die nach dem elften Jahrhundert nach Tibet gebracht wurden, sind die Neuen Tantras. Die Nyingmaschule folgt den Alten Tantras und die anderen Schulen den Neuen Tantras. Einige der Tantras, vor allem die Neuen Tantras, sind Belehrungen des Buddhas Shakyamuni, doch die Alten Tantras sind Belehrungen, die von mehreren Buddhas direkt an verschiedene Weise in reinen Visionen gegeben wurden.

In der Alten Tantrischen Tradition werden die Belehrungen in sechs Klassen unterteilt: Kriyayoga, Caryayoga und Yogatantra, die drei äußeren Tantras und Mahayoga, Anuyoga und Atiyoga oder Mahasandhi die drei inneren Tantras. Gemäß der Neuen Tantras werden die Tantras in vier Klassen unterteilt; Kriyayoga, Caryayoga, Yogatantra und Anuttarayoga. Die inneren tantrischen Schriften sind Instruktionen im Training der zwei Phasen, der Entstehungsphase, dem Weg, Phänomene als rein und perfekt wahrzunehmen und zu aktualisieren und der Perfektionsphase, in der trainiert wird, die ursprüngliche Weisheit zu erlangen, die Einheit von Glücksgefühl und Leerheit. Die Schriften der drei inneren Tantras der Nyingma erschienen weder während der späteren Übersetzungsperiode noch wurden sie erneut übersetzt. Und die meisten Schriften des Anuttaratantra der Neuen Tantras wurden nicht während der früheren Periode ins Tibetische übersetzt. Somit besteht ein großer Unterschied zwischen der tantrischen Tradition der Nyingma und der anderen drei Schulen, was Schriften, Übertragungslinie und Praxismethoden anbetrifft.
entnommen aus
„Die verborgenen Schätze Tibets, Eine Erklärung der Termatradition der Nyingma-Schule des Buddhismus“
von Tulku Thondup
mit freundlicher Genehmigung des Theseus Verlag, Berlin, erschienen 1994.
Übersetzt aus dem Amerikanischen von Jomo Gudrun.
Titel der amerikanischen Originalausgabe: „Hidden Teachings of Tibet, An Explanation of the Terma Tradition of the Nyingma School of Buddhism“ erschienen 1986 bei Wisdom Publication, Boston, USA

6. Tulku Thondup Rinpoche zum Thema: Sangha

In der Nyingmaschule gibt es zwei Kategorien von Sangha oder spiritueller Gemeinschaft, die Gemeinschaft der Mönche und Nonnen oder Entsager und die Gemeinschaft der Tantriker oder der asketischen esoterischen Praktizierer. Die Entsager betonen die Einhaltung des Zölibats, Armut und das Leben in Einsamkeit. Sich physisch von einer weltlichen Umgebung fernzuhalten, ist eine Methode, seinen Geist davor zu bewahren unter den Einfluß von Emotionen zu geraten, so daß die spirituelle Praxis nicht unterbrochen wird. Tantriker führen einen Haushalt, ohne sich von weltlichen Bedingungen fernzuhalten. Doch sie freuen sich nicht an Sinnesobjekten mit Anhaftung, sondern benutzen sie als ein Mittel zur Praxis durch die Kraft ihrer verwirklichten Weisheit. Obwohl sie mit ihren Familien zusammenleben, widmen sie ihr Leben dem Studium und der Praxis und verwandeln sie in eine Unterstützung oder ein Mittel zur Praxis. Somit sind sie gänzlich verschieden von Laien, die einen Haushalt führen, was die wahre Qualität ihres Lebens anbetrifft. 

In der tantrischen Tradition liegt die Hauptbetonung auf der geistigen Praxis, alles als rein, perfekt, Gleichmut und das Spiel der Weisheit anzusehen und anzunehmen, ohne unter die Kontrolle der äußeren Umstände zu gleiten. Unter tibetischen Buddhisten gibt es keinen, der nicht eine Einweihung in tantrische Praktiken erhalten hat, so daß selbst Mönche und Nonnen in ihrer inneren meditativen Praxis tantrisch sind. Äußerlich sind sie Entsager und innerlich Tantriker. Es gibt realisierte Tantriker, die keine emotionalen Verschmutzungen haben und deren Geist durch keinerlei äußerliche Umstände beeinflußt wird. An welche Disziplin sie sich auch halten mögen, sie sind höchste Entsager, frei von allen Verunreinigungen. In seiner wahren Bedeutung ist es schwieriger, eine tantrische Obligation beizubehalten, als entsagende Disziplin zu halten. Da die letztere physisch ist, ist es einfach sie zu bemerken und Fehler zu vermeiden. Doch die tantrische Disziplin ist geistig und ihre Möglichkeiten sind subtil und grenzenlos.

Außer bei den Nyingma gibt es keine priesterliche Gemeinschaft von Nicht-Entsagern innerhalb der tibetisch-buddhistischen Schulen. In der Sakya-Schule gibt es gewisse Einzelgänger, so wie die Thronhalter der Sakya, die Tantriker sind, doch gibt es keine nicht-entsagende Sangha oder Gemeinschaft. In der Gelug-Schule ist die erste Voraussetzung, um ein Mitglied der mönchischen Gemeinschaft oder Sangha zu werden, die, ein Entsager zu sein.

Nyingmapas haben das geringste Interesse an organisatorischen Strukturen, hierarchischen Formalitäten und theoretischer Dialektik. Sie sind mehr daran interessiert, ihr Leben der Einfachheit und Natürlichkeit zu widmen. Sie betonen besonders, die Inhalte, die sie studiert haben, auf ihren eigenen Geist anzuwenden. Die einfachste und gleichzeitig höchste und tiefste Lehre und Training innerhalb der Nyingma ist die Meditation auf die große Perfektion, die in tibetisch als Dzog chen bekannt ist, eine Methode, die den Geist zur ultimativen Leichtigkeit, dem natürlichen Zustand ohne Illusionen, führt. Es ist das schnellste und außergewöhnlichste Mittel, um die geistig produzierten Phänomene in ihre absolute Natur, nämlich Buddhaschaft, aufzulösen. Praktizierende der Großen Perfektion zeichnen sich aus durch das Erreichen des Resultats. Sie trainieren sich selbst mit natürlichen Mitteln, um den ultimativen natürlichen Zustand innerhalb kurzer Zeit zu erreichen. Jene, die in dieser Praxis geübt sind und sie zur Perfektion gebracht haben, besitzen außer, daß sie normal, einfach und angenehm in Gesellschaft sind, außerdem Klarsicht, wundervolle Kräfte und die Weisheit von Glücksgefühl und Leerheit in Vereinigung. Viele, die die Realisation dieser Praxis erreicht haben, lösen ihren sterblichen Körper während des Sterbeprozesses vollkommen auf, ohne den geringsten Rest, was ein Zeichen dafür ist, daß sie den vollständig erleuchteten Zustand, Buddhaschaft, erlangt haben.
entnommen aus
„Die verborgenen Schätze Tibets, Eine Erklärung der Termatradition der Nyingma-Schule des Buddhismus“
von Tulku Thondup
mit freundlicher Genehmigung des Theseus Verlag, Berlin, erschienen 1994.
Übersetzt aus dem Amerikanischen von Jomo Gudrun.
Titel der amerikanischen Originalausgabe: „Hidden Teachings of Tibet, An Explanation of the Terma Tradition of the Nyingma School of Buddhism“ erschienen 1986 bei Wisdom Publication, Boston, USA

7. Tulku Thondup Rinpoche zum Thema: Padmasambhava

Guru Padmasambhava ist der Gründer des Buddhismus in Tibet und die Quelle der Termatradition der Nyingma. Er ist gemeinhin bekannt als Guru Rinpoche, der Kostbare Lehrer. Die Nyingmapas respektieren ihn als den zweiten Buddha – er nimmt nach dem Buddha den zweiten Rang ein.

Guru Padmasambhava ist eines der außergewöhnlichsten Wesen in der Geschichte der buddhistischen Heiligen, er besaß unbegrenzte erleuchtete Kraft. Er war eine Manifestation der Erleuchteten in der Form eines großen esoterischen Praktizierers und Meisters. Er wurde von keiner Frau geboren, sondern erschien auf wunderbare Weise in einem Lotus. Er führte ein asketisches Leben, übte sich und erreichte Vervollkommnung in den esoterischen Belehrungen des Buddhismus und unterrichtete zahllose Anhänger im esoterischen Zugang zur Erleuchtung, indem er zu verschiedenen Zeiten verschiedene Formen annahm. Er erreichte die Errungenschaft der Unsterblichkeit, behielt den gleichen Körper bei und machte sich sichtbar, wo und wann immer es für die Wesen angemessen war.

Guru Padmasambhava wurde in einem Lotus im Milch-Ozean im Lande Oddiyana geboren. Moderne Gelehrte glauben, daß es sich dabei um das Swat-Tal in Pakistan handelt. Er wurde acht Jahre nach dem Tod des Buddha geboren. Durch seine esoterische Praxis erreichte er Unsterblichkeit und im neunten Jahrhundert, im Alter von mehr als tausend Jahren, reiste er nach Tibet und erschien immer noch jugendlich. Seine Anhänger glauben, daß er sich noch im gleichen Körper im Kupferfarbenen Berg befindet, einem manifestierten reinen Land im Zentrum des Camara-Subkontinents und daß er von realisierten Menschen gesehen werden kann.

Nach Padmasambhavas Lotusgeburt, fand König Indrabodhi von Oddiyana ihn im Milch-Ozean und brachte ihn in seinen Palast. Der König, der keinen Erben hatte, machte ihn zu seinem Kronprinzen. Schließlich heiratete er Kha dro Od chang ma, doch er bat den König, ihm zu erlauben, das Königreich aufzugeben und das Leben eines Asketen führen zu dürfen. Als der König dies verweigerte, wandte er ein geschicktes Mittel an. Der Sohn eines bösen Ministers war aufgrund der Auswirkungen seines früheren Karmas zum Sterben bestimmt. Padmasambhava konnte dies sehen und so tötete er den Knaben beim Spielen. Gemäß dem Gesetz wurde Padmasambhava auf einen Friedhof verbannt, wo er endlich in der Lage war, die esoterischen Belehrungen zu erhalten, die er sich gewünscht hatte und praktizierte sie. Er erhielt Einweihungen von Weisheitsdakinis, Kha dro Zhi wa tsho und Vajravarahi. Dann besuchte er verschiedene Lehrer bei denen er Medizin, Astrologie, Logik und Kunst studierte. Er wurde von Acnarya Prabhahasti zum Mönch geweiht. Er lernte Vinaya von Ananda und Tantras inklusive der Mahasandhi von Prahevajra, Srisinha, Manjusri, Nagarjuna, Humkara, Vimalamitra und Buddhaguhya, welche alle verwirklichte Meister waren. Durch die Praxis dieser Belehrungen manifestierte er sich als gänzlich vollkommener Heiliger.

Dann besuchte Guru Padmasambhava das Königreich von Sahora. Er ging zu dem Konvent, in dem Prinzessin Mandarava und ihre Hofdamen als Entsager lebten. Er gab ihnen esoterische Belehrungen und nahm sie als seine Schülerinnen an. Der König verdächtigte ihn, eine verbotene Beziehung mit der Prinzessin zu haben und verurteilte Guru Padmasambhava zum Tode durch Verbrennen. Doch anstatt vom Feuer verbrannt zu werden, verwandelte der Guru es in einen See voller Lotusblumen. Der König und sein Gefolge wurden seine Anhänger und er nahm Prinzessin Mandarava als seine spirituelle Gefährtin an. Guru Padmasambhava ging mit Mandarava zur Maratika-Höhle, die im heutigen Nepal gelegen ist, um Tantra zu praktizieren. Sie beide erreichten die Fähigkeit der Kontrolle über das Leben.

Dann ging Guru Padmasambhava mit seiner Gefährtin nach Oddiyana. Dort erkannte ihn der böse Minister, dessen Sohn getötet worden war. Der König befahl, daß Padmasambhava bei lebendigem Leibe verbrannt werden sollte. Doch er verwandelte das Feuer in einen See und in seiner Mitte saßen er und Mandarava in einem riesigen Lotus. Der König und das gesamte Land wurden seine Anhänger und er blieb dreizehn Jahre dort als Kaplan des Palastes. Er gab viele tiefgründige esoterische Belehrungen, inklusive der Ka dü chö kyi gya tsho.

Von dort aus ging er wieder nach Nepal und mit der Unterstützung seiner spirituellen Gefährtin, Prinzessin Sakyadevi erreichte er die höchste Errungenschaft durch die profunde Praxis der Sadhanas der Gottheiten Yang dag (Vajraheruka) und Dorje Phur pa (Vajrakila) in der Yang le shöd-Höhle, die jetzt als Palphing bekannt ist.

Bei der De ched Tseg pa Stupa begegnete er den acht Weisheitshaltern. Jeder der acht großen Weisheitshalter entdeckte eine der Schriften der acht großartigen Gottheiten und Guru Padmasambhava entdeckte den Text mit den zusammengefaßten Belehrungen der acht großartigen Gottheiten, bekannt unter dem Namen De sheg Du pa. Er erhielt auch die Übermittlung der Belehrungen über die acht großartigen Gottheiten von den authorisierten Entdeckern jener Belehrungen.

Guru Padmasambhava besuchte auch viele Teile des indischen Subkontinents so wie Hurmuja (eine kleine Insel in Oddiyana), Sikodhara, Dhanakosa, Rukma, Tirahuti, Kamaru, Tharu, Campa Khasya, Trilinga in Südindien, Kanchi und Magadha in Zentralindien. Er zerstreute Hindernisse und gab Belehrungen und Einweihungen an eine Vielzahl von Schülern menschlicher und auch nicht-menschlicher Herkunft.

Es ist wichtig hier anzumerken, in Die Geschichte von Kha dro nying thig wird gesagt: „Dann ging der große Meister (Guru Padmasambhava) im Körper der Großen Transformation nach Tibet.“

Verwirklichte Praktizierende der Großen Perfektion können ihren Körper durch spezifische Praktiken in einen Vajrakörper verwandeln, genannt der Körper der großen Transformation, und haben die Fähigkeit, so lange sie wollen zu verweilen, ohne zu sterben. Sie sind für andere sichtbar, wenn sie es wünschen oder wie es angemessen ist. Somit lebte Guru Padmasambhava etwa eintausend Jahre bevor er nach Tibet kam, und das war nur durch seine spirituellen Errungenschaften möglich. So kam er gemäß dem Text Die Geschichte von Khan dro nyig thig, im Körper der Großen Transformation nach Tibet.

Im neunten Jahrhundert wurde König Thri srong Deutsen ein sehr machtvoller Herrscher in Tibet. Unter seiner Herrschaft nahmen tibetische Streitkräfte Ch’ang an, die Hauptstadt der Tang Dynasty Chinas ein und sie stießen sogar bis nach Maghada in Zentralindien vor. Der König war ein machtvoller weltlicher Herrscher und auch zutiefst dem Buddhismus ergeben. Er lud Santaraksita, den Abt von Nalanda nach Tibet ein, um das Kloster Sam ye zu erbauen und den Buddhismus in Tibet einzuführen. Doch durch den Einfluß der bösen Minister des Königs und wegen örtlicher Geister, wurde es unmöglich, diese Dharmaprojekte in die Tat umzusetzen. In Einklang mit einer Prophezeiung Santaraksitas lud der König Guru Padmasambhava nach Tibet ein, der zu dieser Zeit als der machtvollste tantrische buddhistische Meister in Indien berühmt war. Durch seine erleuchtete Macht befriedete und unterwarf er schnell alle gegnerischen Mächte, die die Einführung des Buddhismus und die Konstruktion von Kloster Sam ye zu verhindern suchten. Das Kloster bestand aus einem Haupttempel, zwölf kleineren Tempeln und vier großen Stupas, die von einer hohen Mauer mit 108 kleinen Stupas umgeben waren. Es war das Zentrum, von dem sich der Buddhismus in alle Teile Tibets ausbreitete.

Guru Padmasambhava gab esoterische Belehrungen und Einweihungen des Vajrayana an hunderte von Schülern, einschließlich der „fünfundzwanzig, König und Untertanen“. Mit seiner Gefährtin Kha dro Ye she Tsho gyal reiste er durch seine wunderbare Kraft durch Tibet und praktizierte Tantra, tat Wunder, gab Belehrungen und segnete hunderte von Höhlen, Bergen, Seen und Tempeln als heilige Orte. Er verbarg Tausende von Termas an vielen Orten zum Nutzen seiner zukünftigen Nachfolger. Hunderte von Tibetern, die von ihm Belehrungen erhielten, erreichten die Verwirklichung.

Es gibt verschiedene Berichte über die Dauer des Aufenthalts von Guru Padmasambhava in Tibet, doch die meisten Gelehrten der Nyingma stimmen darin überein, daß er fünfundfünfzig Jahre und sechs Monate in Tibet blieb und Tibet in eines der reichsten Länder des esoterischen Buddhismus verwandelte. Während der Herrschaft des Königs Mu thri Tsen po verließ er schließlich im Jahre 864 Tibet, um zum Subkontinent Camara zu gehen. Dabei vollbrachte er die großartigsten Wunder und ritt an einer Stelle, die Kong thang Pass heißt, in Gegenwart von tausenden von Menschen, die gekommen waren, um ihn zu verabschieden, auf einem Pferd durch die Luft.